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Neogotik

Von Stadtwiki

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Evangelische Stadtkirche Pforzheim (1899-1962), Längsschnitt, Entwurf Carl Voß.
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Die Neugotik, auch Neogotik genannt, ist ein auf die Gotik zurückgreifender historistischer Kunst- und Architekturstil des 19. Jahrhunderts. Die Neugotik zählt zu den frühesten stilistischen Unterarten des Historismus, der auf Kunst- und Architekturstile der vorausgegangenen zwei Jahrtausende zurückgriff.

Im Mittelpunkt der Verbreitung der Neugotik stand ein umfassendes Bau- und Einrichtungsprogramm, das bis in die Literatur und den Lebensstil Einzug hielt. Die Formensprache der Neugotik orientierte sich an einem idealisierten Mittelalterbild. Ihre Blüte hatte sie in der Zeit von 1830 bis 1900. Unter der Auffassung, an Freiheit und Geisteskultur mittelalterlicher Städte anzuknüpfen, errichtete man in neugotischem Stil vor allem Kirchen, Parlamente, Rathäuser und Universitäten, aber auch andere öffentliche Bauten wie Postämter, Schulen oder Bahnhöfe.

Inhaltsverzeichnis

Werke im Bereich des Stadtwikis Pforzheim-Enz („Pfenzland“)

Beispiele für Neogotik in Pforzheim sind:

Neugotik im deutschen Sprachraum

Das Nauener Tor in Potsdam (1755), das Friedrich der Große auf britische Anregung errichten ließ, war das erste neugotische Bauwerk in Deutschland. Mit der Unterstützung von Friedrich dem Großen erhielt die Neugotik eine nationale Ausrichtung, da man sich in einer Verbundenheit mit dem mittelalterlichen Kaiserreich sah. Insbesondere bei den damaligen Parkbauten setzte sich die Stilrichtung durch, wie beispielsweise das Gotische Haus im Wörlitzer Park (1786/87), oder die Löwenburg im Bergpark Wilhelmshöhe. Sie entstand nach Entwürfen von Heinrich Christoph Jussow in der Zeit von 1793 bis 1800 als Nachahmung einer mittelalterlichen englischen Ritterburg.

Für die Gotik-Rezeption in Deutschland ist Johann Wolfgang von Goethes 1773 veröffentlichter Aufsatz „Von Deutscher Baukunst“ von besonderer Bedeutung. Goethe beschrieb den deutschen Baumeister Erwin von Steinbach als angeblich alleinigen Erbauer des Straßburger Münsters sowie als Genie und weckte schwärmerische Begeisterung für die damals noch weitgehend verachtete Gotik|gotische Architektur, die nun als deutsche Baukunst verstanden und positiv bewertet wurde. Dass die gotische Baukunst historisch aus Frankreich stammte, war Goethe nicht bekannt. In der Folgezeit wurde die französische Herkunft von Nationalismus|nationalistischen Anhängern einer vermeintlich „deutschen“ Gotik jahrzehntelang bestritten oder auch ignoriert.

Die Romantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte in Deutschland zu einer Begeisterung für die mittelalterlichen Bauwerke, insbesondere für die großen Dome der Gotik und die Burgen. Wichtige Zeugnisse hierfür sind Friedrich Schlegels Aufsatz Grundzüge der gotischen Baukunst, oder auch die romantischen Landschaften von Caspar David Friedrich, Carl Gustav Carus, Julius von Leypold und dem vor allem als Architekt des Klassizismus bekannten Karl Friedrich Schinkel. Im Zuge dieser neuen Mode konnten auch alte Bauruinen wie der Kölner Dom (Wiederaufnahme des Baus 1846) oder das Ulmer Münster (Fertigstellung des Westturmes 1890) nach den Plänen des Mittelalters vollendet werden. Andere gotische Kirchen wurden purifiziert, das heißt, von nachträglichen Änderungen nachfolgender Stilepochen befreit, vervollständigt und von vermeintlichen Fehlern bereinigt. Die Vollendungen verwendeten die originalen Baupläne, es sind also aus kunsthistorischer Sicht noch (zum überwiegenden Teil) Bauwerke der mittelalterlichen Gotik.

Als erster Backsteinbau der Neugotik in Norddeutschland gilt ein Mausoleum bei Hannover von 1842 für den General und Staatsmann Carl von Alten. Es wurde vom hannoverschen Stadtplaner Georg Ludwig Friedrich Laves entworfen und von Conrad Wilhelm Hase fertiggemauert. Das Gebäude im heutigen Naturschutzgebiet Sundern zerfiel im Laufe der Zeit zur Ruine.

Vorhandene Burgruinen wurden gerne nach englischem Vorbild, dem Castellated Style wiederaufgebaut, dieser Wiederaufbau hatte allerdings nichts mehr mit der historischen Gestalt der Burg zu tun. Typische Beispiele dafür sind die Burg Hohenzollern bei Hechingen, das Schloss Stolzenfels in Koblenz sowie weitere Bauwerke der Rheinromantik. Ein außergewöhnlich umfangreicher Um- und Ausbau älterer Burg-, Schloss- und Klosteranlagen erfolgte unter dem Coburger Herzog Ernst I. (Sachsen-Coburg und Gotha) mit seinen neugotischen Schöpfungen von Schloss Rosenau, Schloss Ehrenburg, Schloss Callenberg und Schloss Reinhardsbrunn. Außergewöhnlich ist auch das von Victoria von Großbritannien und Irland (1840–1901) entworfene Schloss Friedrichshof, das ihr als Witwensitz diente.

Für neue Kirchen- und Profanbauten in den wachsenden Städten griff man gerne auf die gotische Architektur zurück und komponierte mit Formelementen aus dem reichen Erbe vorhandener Bauwerke eine neue idealisierte Architektur, die Neugotik. Allerdings fehlte aufgrund der großen zeitlichen Distanz das tiefe Verständnis für die Formensprache und so finden sich Formen des Kirchenbaus an neugotischen Rathäusern wieder. Herausragende Beispiele für neugotische Profanbauten sind die Rathäuser in Wien, München und dem Berliner Bezirk Köpenick sowie das einzigartige Ensemble der Speicherstadt in Hamburg.

Für die Innenausstattung, insbesondere Altäre und Kanzeln der neuen und purifizierten Kirchen schuf man aufwändig geschnitzte Werke, die sich an die Elemente der Architektur anlehnen, aber ohne Vorbild waren. Diese Werke nannte man später abwertend Schreinergotik. Die Glasmalerei erlebte ebenfalls eine neue Blüte, allerdings sind die neuen Werke realistischer und naturalistischer als die historischen Vorbilder. Viele derartige Ausstattungsgegenstände der Kirchen sind ab 1960 aus Verachtung für die nachgemachten Stile wieder entfernt und zerstört worden.

Die neue Stilrichtung erfasste auch das Friedhofswesen. So gilt zum Beispiel als erstes neugotisches Kunstwerk auf einem bayerischen Friedhof das von Friedrich von Gärtner geschaffene und am 1. November 1831 enthüllte Denkmal am Massengrab der Sendlinger Mordweihnacht auf dem Alten Südlichen Friedhof in München.[2]

Im Zweiten Weltkrieg waren neugotische Bauten besonders im deutschen Sprachraum massiven Zerstörungen ausgesetzt. Fast alle bedeutenden neugotischen Kathedralen blieben jedoch vom Zusammensturz verschont, auch wenn die Dachstühle vielerorts ausbrannten. Eine Ausnahme bildet hier die Nikolaikirche in Hamburg, deren Schiffe nach den verheerenden Bombenangriffen der „Operation Gomorrha“ im Sommer 1943 zwar noch standen, deren Ruine aber 1951 trotz Bürgerprotesten abgebrochen wurde. Nur der Turm ragt heute noch 147 Meter hoch aus dem Häusermeer (das Ulmer Münster ist nur 14 Meter höher). Er lässt die Größe der zerstörten Kirche erahnen, die sicherlich als eine der größten und prächtigsten gelten kann, die allein im Stil der Neugotik (ohne Teilstücke aus dem Mittelalter) erbaut worden sind.

Die Begeisterung für gotische Formen ließ im stark nationalistisch geprägten Deutschland des zweiten Kaiserreiches wieder nach, nachdem immer offensichtlicher wurde, dass die Gotik nicht ein typisch deutscher Stil ist, sondern historisch aus Frankreich stammt. Den gesuchten, typisch deutschen Stil glaubte man in der Romanik gefunden zu haben, worauf sich der Schwerpunkt auf romanische Formen verlagerte und die Neuromanik ihre Blüte erlebte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Nürnberg als lokale Besonderheit eine besondere Ausprägung der Neugotik, den Nürnberger Stil, der an die hoch- und spätgotische Bautradition der Stadt anzuknüpfen versuchte. Zu den letzten Beispielen in Deutschland gehört die 1906 geweihte Paulskirche in München von Georg von Hauberrisser. Auch die Martinus-Kirche in Olpe (geweiht 1909) ist im neugotischen Stil erbaut.

Architekten – Auswahl

Bauwerke – Auswahl

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Timm, S. 595-596.
  2. Albrecht Vorherr: Ein Rebellendenkmal im Alten Südlichen Friedhof, Nymphenspiegel Band VIII, München 2012, S. 158–161


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